Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied am 19.4.2005 über eine Verfassungsbeschwerde die grundsätzliche Fragen des Pflichtteilsrechts betrifft (BVerfG, 1 BvR 1644/00, Absatz-Nr. 1 . 98). Insbesondere wurde der grundsätzlichen Bestand des Pflichtteilsrechts und die bestehenden Möglichkeiten ein solches auszuschließen beleuchtet.
Rechtlicher Hintergrund:
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) kann das Kind eines Erblassers, das durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist, von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der mit dem Erbfall entstehende Pflichtteilsanspruch ist eine Geldforderung in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen. Voraussetzung für die Pflichtteilsberechtigung ist, dass der Berechtigte ohne die letztwillige Verfügung zum gesetzlichen Erben berufen wäre (z.B. Kinder als Abkömmlinge der Eltern).
Der Pflichtteil kann dem Kind vom Erblasser durch letztwillige Verfügung (z.B. Testament) entzogen werden. Eine Entziehung ist nur möglich, wenn einer der im Gesetz (§ 2333 BGB) genannten Gründe vorliegt. Ein solcher liegt unter anderem vor, wenn der Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten oder einem anderen Abkömmling des Erblassers nach dem Leben trachtet, oder wenn der Abkömmling sich einer vorsätzlichen körperlichen Misshandlung des Erblassers oder des Ehegatten des Erblassers schuldig macht, im Falle der Misshandlung des Ehegatten jedoch nur, wenn der Abkömmling von diesem abstammt.
Der Fall:
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, in denen er als Erbe nach seiner Mutter zur Zahlung des Pflichtteils an seinen Bruder (im Folgenden: Kläger) verurteilt wurde.
Der Beschwerdeführer ist einer von zwei Söhnen der am 18.02.1994 verstorbenen Erblasserin. Sie hatte ihn im Jahre 1982 in einem privatschriftlichen Testament zu ihrem Alleinerben eingesetzt und lebte im Zeitpunkt ihres Todes gemeinsam mit dem an einer schizophrenen Psychose leidenden Kläger in einem Haus. In den letzten Jahren vor dem Tod der Erblasserin, in denen der Kläger zurückgezogen in einem Zimmer im Keller des Hauses wohnte, kam es wiederholt zu schweren tätlichen Angriffen des Klägers gegen die Erblasserin. Nachdem er die Erblasserin am 13.01.1994 erneut massiv angegriffen hatte, errichtete diese am 20.01.1994 ein weiteres Testament. Darin bestätigte sie die Erbeinsetzung des Beschwerdeführers und verfügte zusätzlich:
»Meinen gewalttätigen Sohn … enterbe ich, weil er mich nachweislich oft misshandelt (Faustschläge auf den Kopf) und dadurch meinen eventuellen plötzlichen Tod in Kauf nimmt.«
Am 18.02.1994 erschlug der Kläger die Erblasserin aus Angst vor und aus Wut wegen seiner bevorstehenden Einweisung in das Landeskrankenhaus, zerstückelte die Leiche und versteckte die Leichenteile im Wald. Wegen dieser Tat ordnete das Landgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem Sicherungsverfahren die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Kläger habe zwar das Unrecht seiner Tat einsehen können, sei jedoch zur Tatzeit auf Grund seiner psychischen Erkrankung und damit einer krankhaften seelischen Störung nicht in der Lage gewesen, nach dieser Einsicht zu handeln.
Die Entscheidung:
Der Beschwerdeführer wurde in zwei Instanzen zur Zahlung des Pflichtteils verurteilt. Das Landgericht führte aus, dass eine Pflichtteilsentziehung nicht wirksam sei, da die in § 2333 BGB aufgezählten und vorliegend in Frage kommenden schweren und vorsätzlichen Straftaten ein schuldhaftes Verhalten voraussetzten, welches nach den Feststellungen im Strafverfahren nicht gegeben sei.
Das BVerfG entschied dagegen, dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistet wird. Die Normen über das Pflichtteilsrechts der Kinder des Erblassers seien mit dem Grundgesetz vereinbar.
Einzig die Auslegung des Merkmals »schuldhaftes Verhalten« sei von den Gerichten falsch ausgelegt worden, so dass dieses Urteil aufgehoben werden musste.
Schlussfolgerung:
Eine Entscheidung die deutlich macht, wie schwer es ist einen Pflichtteilsberechtigten komplett vom Erbe auszuschließen. Alleine die biologische Verbundenheit zwischen dem Erblasser und seinen Kindern rechtfertigt eine Nachlassbeteiligung; auch gegen den Willen des Erblassers. Letztlich kann ein Kind nur unter größten Schwierigkeiten als Erbe ausgeschlossen werden, Einzig eine vorausschauende Planung zu Lebzeiten kann Gestaltungsraum öffnen.