Arbeitnehmer müssen im Streit über Folgeerkrankungen alles offen legen

Arbeitnehmer müssen im Streit über Folgeerkrankungen alles offen legen

Ein Arbeitnehmer hat im Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz alle zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen offenzulegen, so das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 18.01.2023 (5 AZR 93/22).

Das Problem: Ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung für mehr als sechs Wochen kommt nur in Betracht, wenn eine erneute Arbeitsunfähigkeit vorliegt und diese auf einer anderen Krankheit beruht. Bei der gleichen Erkrankung erhält der Arbeitnehmer nach sechs Wochen keinen Lohn mehr, sondern lediglich das rund 30% niedrigere Krankengeld von der Krankenkasse.

Der Fall: Der Kläger war ab dem 24.08.2019 an 68 Tagen im Jahr und auch in 2020 in erheblichem Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitgeber zahlte bis zum 13.08.2020 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Arbeitnehmer begehrte für den Zeitraum ab dem 18.08.2020 weitere Entgeltfortzahlung und legte zum Nachweis mehrere ärztliche Erstbescheinigungen vor. Der Arbeitgeber glaubte nicht, dass es sich um eine neue Erkrankung handelte, sondern nahm an, es handle sich um die gleiche Krankheit (sogenannter “Fortsetzungszusammenhang”). Da kein Lohn gezahlt wurde, erhob der Arbeitnehmer Klage gegen seinen Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung.

Im darauf folgenden Arbeitsgerichtsprozess weigerte der Arbeitnehmer sich “aus Datenschutzgründen”, die Krankheiten aus der vorliegenden Zeit vollständig offenzulegen. Er vertrat den Standpunkt, eine „Vorauswahl“ der Informationen zu seinen Erkrankungen treffen zu dürfen und nur zu dem ihm “potentiell einschlägig erscheinenden Krankheiten” vortragen zu müssen.

Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht wies die Klage in der Berufung zurück. Auch das Bundesarbeitsgericht wies in seinem Urteil vom 18.01.2023 die Revision des Arbeitnehmers zurück.

Es gab hierzu folgende Begründung:

Ein Arbeitnehmer sei im Arbeitsgerichtsprozess nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gehalten, sämtliche Krankheitsdiagnosen im maßgeblichen Zeitraum offenzulegen, wenn er anführe, dass es sich um unterschiedliche, die gesetzliche Entgeltfortzahlung jeweils erneut auslösende Krankheiten gehandelt habe.
Behaupte der Arbeitgeber einen Fortsetzungszusammenhang, müsse der Arbeitnehmer die behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden.
(BAG Urteil vom 31.03.2021)

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers müsse hier zugunsten des Arbeitgebers zurücktreten. Gesundheitsdaten seien zwar besonders geschützt und der mit der Offenbarung verbundene Eingriff sei intensiv, er sei gleichwohl verhältnismäßig. Ohne Kenntnis der vollständigen Diagnosen könne der Arbeitgeber den Einwand des Fortsetzungszusammenhangs nicht fundieren. Ansonsten würde dem Arbeitgeber eine Verteidigung gegen eine – möglicherweise unberechtigte - Inanspruchnahme unmöglich sein.

Fazit:

Das Urteil des BAG schafft endlich Rechtssicherheit.

Arbeitnehmer müssen in einem solchen Prozess über Entgeltfortzahlung die Krankheitsdiagnosen vollständig offenlegen und ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.

Kommt ein Arbeitnehmer dieser Obliegenheit nicht vollständig nach, ist die Klage auf Entgeltfortzahlung abzuweisen.

Trotz dieser Entscheidung bleibt aber die Abwehr unberechtigter Ansprüche auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber weiterhin schwierig, da die ärztlichen Diagnosen immer wieder voneinander abweichen.

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