Am 16.11.2022, entschied der Bundesgerichtshof zur Frage, ab wann und unter welchen Voraussetzungen, ein Antrag auf Versteigerung der Ehewohnung möglich ist.
Bislang galt, dass bis zur Scheidung eine Verwertung des Familienheims auf Wunsch nur eines Ehepartners nicht möglich ist.
Viele Eheleute haben bei Trennung ein gemeinsames Hausanwesen. Über die Verwertung der Immobilie ist Einvernehmen der Eheleute nicht immer zu erzielen. Ein Ehegatte wünscht die Veräußerung des Familienheims, der andere weigert sich. Im Zwangsvollstreckungsrecht besteht die Möglichkeit, einen „Antrag auf Anordnung der Teilungsversteigerung“ zu stellen. In diesem Fall wird eine Immobilie, auch gegen den Willen der anderen Miteigentümer, verwertet und zwangsversteigert. Der Erlös wird geteilt.
Nach bisheriger Rechtsprechung galt für Ehegatten (BGH V ZB 102/06) die Pflicht zur “ehelichen Rücksichtnahme”, so lange sie verheiratet sind: Im Falle des Familienheims, bedingte die Ehe eine wechselseitige Rücksichtnahme in besonderem Maß. Gemäß § 1365 BGB analog, musste es der verkaufswillige Ehepartner dulden, dass er über sein Hausanteil nicht frei verfügen kann. Die Familie sollte vor einseitigen Maßnahmen eines Ehegatten geschützt werden. Eine Teilungsversteigerung vor Scheidung war nicht möglich.
Hiervon rückt der Bundesgerichtshof nun mit der Entscheidung vom 16.11.2022 (XII ZB 100/22) ab; nun gilt: Kein Partner hat das Recht, die Ehewohnung unter allen Umständen und zu allen Zeiten im selben Umfang und in der selben Art zu erhalten. Die Versteigerung ist grundsätzlich möglich. Es ist allerdings abzuwägen, ob die eheliche Rücksichtnahme den Antrag auf Teilungsversteigerung verbietet. Als mögliche Kriterien die eine Versteigerung im Einzelfall verbieten können benennt der Bundesgerichtshof:
- Belange der im Haus lebenden Kinder. Wird deren Wohl durch den Verkauf erheblich beeinträchtigt.
- Ehefeindliche Ziele des Verkaufswilligen. Ziel Druck auf den anderen auszuüben.
- Psychische und physische Gesundheit des Verkaufsunwilligen.
- Lange Dauer der Nutzung als Ehewohnung.
- Kein Ersatzwohnraum.
- Lange Dauer der Trennung. Mit der Zeit tritt die Pflicht zur ehelichen Rücksichtnahme in den Hintergrund.
- Wann und wie wurden die Eheleute Miteigentümer? Ist dies erst seit kurzem der Fall, tritt die Rücksichtnahmepflicht zurück.
- Wirtschaftliche Situation der Eheleute.
Zugleich bekräftigt der BGH - im Anschluss an frühere Rechtsprechung - folgendes: Stellt der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, das gesamte Vermögen eines Ehegatten dar, bedarf der Antrag auf Teilungsversteigerung, vor Rechtskraft der Ehescheidung, gemäß § 1365 BGB weiterhin unbedingt der Zustimmung des anderen Ehegatten.
Ist die Ehe jedoch rechtskräftig geschieden, kann der Antrag auf Teilungsversteigerung jederzeit, ohne nähere Begründung, eingereicht werden.