Erneut hat sich der Bundesgerichtshof mit einem Problem beschäftigt, dass viele Unternehmer haben: Ein Insolvenzverwalter erklärt gemäß §§ 129, 133 InsO die Anfechtung der Zahlung auf eine Rechnung für Lieferungen und Leistungen, die gegenüber einem später insolventen Unternehmen erbracht wurden. Die Rechtsprechung fingierte hier fast in jedem Fall einen „Gläubigerbenachteiligungsvorsatz“ wenn das Unternehmen bei Lieferung bereits zahlungsunfähig im Sinne des § 17 InsO war. Diese Anfechtungen werden von den Betroffenen im Regelfall nicht akzeptiert, da sie (zutreffend) nur das bezahlt erhielten, was sie geliefert haben. Waren derartige Anfechtungen bereits seit dem Urteil des Bundesgerichtshof vom 12.02.2015 nur noch unter bestimmten Voraussetzungen durchsetzbar, so hat der Bundesgerichtshof nun erneut wegweisend den Schutz der redlichen Lieferanten und Dienstleister gestärkt und einen Weg aufgezeigt, wie auch mit einem Unternehmen in der Krise Leistungen und Zahlungen anfechtungssicher ausgetauscht werden können.
Mit seinem Urteil vom 12.02.2015 (Az. IX ZR 180/12) hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass der Schuldner trotz Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise nicht mit „Gläubigerbenachteiligungsvorsatz“ bei der Befriedigung eines Geschäftspartners handelt, wenn der mit diesem vorgenommene Leistungsaustausch die folgenden Kriterien erfüllt. Das Geschäft muss
- bargeschäftsähnlichen Charakter haben (Leistung und Gegenleistung gleichwertig)
- zur Fortführung des Unternehmens unentbehrlich sein
- den Gläubigern im Allgemeinen nutzen und
- eine Lieferung und Leistung zu marktgerechten Preisen umfassen.
- Der Schuldner darf außerdem nicht bewusst fortlaufend unrentabel arbeiten und weitere Verluste anhäufen.
Dem Schuldner kann in einem solchen Fall laut Bundesgerichtshof die eingetretene mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein, sodass der subjektive Tatbestand einer Vorsatzanfechtung entfällt.
Für die in § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vorausgesetzte Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gelten diese Kriterien entsprechend. Das Wissen um die (drohende) Zahlungsunfähigkeit indiziert grundsätzlich die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung.
Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 04.05.2017 (Az. IX ZR 285/16) enthält an dieser Stelle nun eine entscheidende Wende, die die Vorsatzanfechtung erheblich einschränkt und somit Lieferanten mehr Rechtssicherheit für Geschäftsbeziehungen mit liquiditätsschwachen Kunden bietet:
Im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches (kongruenter Leistung) greift die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO künftig grundsätzlich nicht mehr. Der Schluss von der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eine hierdurch bewirkte Gläubigerbenachteiligung ist bei derartigen Geschäften nicht mehr ohne weiteres gerechtfertigt, es sei denn der Anfechtungsgegner weiß, dass der Schuldner unrentabel arbeitet und weitere Verluste anhäufen wird. Nur dann weiß er auch, dass die fließenden Zahlungen den übrigen Gläubigern des Schuldners Nachteile bringen.
Anders als nach der bisherigen Rechtsprechung indizieren beispielsweise Rücklastschriften ohne das Wissen um ein unrentables Arbeiten des Schuldners eine Gläubigerbenachteiligung nicht mehr.
Das Urteil bringt insofern Klarheit, als dass der Insolvenzverwalter das Wissen des Anfechtungsgegners um die fehlende Rentabilität der Geschäftsführung und um die Gläubigerbenachteiligung im Prozess darlegen und beweisen muss, um mit der Anfechtung Erfolg zu haben. Diese Obliegenheit des Insolvenzverwalters war bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Nur im Falle eines gelungenen Beweises ist die Vermutungsregel bei bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschen anwendbar und eine Anfechtung somit erfolgreich.
Zusammen mit dem Urteil vom 12.05.2015 zeigt der Bundesgerichtshof nunmehr eindeutige Kriterien einer Insolvenzanfechtung auf und schränkt die Vorsatzanfechtung, nicht zuletzt zum Schutz der redlichen Lieferanten, erheblich ein.