Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil vom 08.07.2010, Az.: 3 ZR 249/09, entschieden, dass es im Rahmen einer Anlageberatung keine Pflicht für den Kunden gibt, die ihm hierbei überlassenen, zumeist äußerst umfangreichen, Emissionsprospekte im Anschluss an eine Beratung ausführlich durchlesen und studieren zu müssen.
Die Entscheidung ist von grundlegender Bedeutung, da es im Rahmen der Kapitalanlageberatung regelmäßig erst nach mehreren Jahren, grundsätzlich nach Ende der dreijährigen Verjährungsfrist, für die geschädigten Anleger offenbar wird, dass das Produkt nicht dem gewünschten eigentlichen Anlageziel entsprochen hat.
Anlageberater versuchen sich im Rahmen eines Schadenersatzprozesses regelmäßig einer Haftung dadurch zu entziehen, indem sie sich auf bereits eingetretene Verjährung berufen. Dieser „Rettungsschirm“ wird wohl in den meisten Fällen für die Anlageberatungsgesellschaften nicht mehr bereit stehen.
Der Bundesgerichtshof hat aufgrund zahlreicher unterschiedlicher Einzelfallrechtsprechung der jeweiligen Oberlandesgerichte jetzt festgehalten, dass eine grobfahrlässige Handlung bzw. ein Unterlassen des Anlegers (das Prospekt zu lesen) nicht gegeben ist, was die Verjährung der Schadensersatzansprüche zur Folge hätte, sofern der Anleger es unterlassen hat, den ihm übergebenen Emissionsprospekt nicht durchzulesen.
Eine grobe fahrlässige Unkenntnis liegt nur dann vor, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden sind, oder nicht beachtet worden ist, was gegebenenfalls jedem hätte einleuchten müssen. Etwa dann, wenn sich dem Anleger die dem Anspruch begründeten Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (BGH, Urteil vom 08.07.2010, unter Verweisung auf die Urteile vom 23.09.2008 und 10.11.2009).
Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr der Auffassung angeschlossen, dass ein Anlageinteressent regelmäßig auf die Richtigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Anlageberatung vertrauen dürfe und ihm eine unterbliebene Kontrolle dieser Beratung durch Lektüre des Prospektes deshalb nicht mehr als „grobe Fahrlässigkeit“ vorgehalten werden kann.
Das höchste deutsche Zivilgericht hat somit erstmalig klargestellt, dass Schadensersatzansprüche des Klägers wegen einer fehlerhaften Kapitalanlage nicht bereits deshalb verjährt sind, weil er es unterlassen hat, einen Emissionsprospekt vor langer Zeit inhaltlich zu überprüfen. Wir empfehlen möglichen geschädigten Anlegern diesbezüglich einen auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Rechtsanwalt aufzusuchen, auch bei länger zurückliegenden Kapitalanlagen, da Schadensersatzansprüche auch viele Jahre nach dem getätigten Anlagegeschäft noch bestehen könnten.